Das gegen COVID-19 meist geimpfte Land die Seychellen melden die höchsten Infektionszahlen unter Geimpften. Die 7-Tage-Inzidenz liegt in dem kleinen, ostafrikanischen Pazifikstaat mit 97,000 Einwohnern inzwischen bei über 1800, obwohl über 60 % der Bevölkerung bereits ihre zweite Impfdosis bekamen, also 85 % der Erwachsenen. Von der geimpften Bevölkerung wurden 57 Prozent mit Sinopharm geimpft und 43 Prozent mit AstraZeneca. Laut Gesundheitsministerium sind 37 Prozent der neuen aktiven Fälle Menschen, die bereits vollständig geimpft waren. Wie viele Menschen unter ihnen die Sinopharm-Impfung bekommen haben ist nicht bekannt.
„Oberflächlich betrachtet ist das ein alarmierender Befund“, sagte Dr. Kim Mulholland, ein Kinderarzt am Murdoch Children’s Research Institute in Melbourne, Australien, der an der Betreuung vieler Impfstudien beteiligt war, einschließlich derjenigen für Covid-19-Impfstoff. Dr. Mulholland erklärte, dass die ersten Berichte von den Seychellen mit einer 50-prozentigen Wirksamkeit des Impfstoffs korrelieren, anstatt der 78,1-prozentigen, die die Firma angepriesen hatte. „Wir würden in einem Land, in dem die große Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung mit einem wirksamen Impfstoff geimpft wurde, erwarten, dass die Krankheit dahinschmilzt“.
Wissenschaftlern zu Folge sind kleinere Neuausbrüche normal, weil kein Impfstoff zu 100 Prozent wirksam ist. Aber die Erfahrung auf den Seychellen steht in starkem Kontrast zu Israel, das die zweithöchste Impfquote der Welt hat und es schaffte, das Virus zurückzuschlagen. Eine Studie zeigte, dass der Pfizer-Impfstoff, den Israel verwendete, zu 94 Prozent wirksam ist, um eine Übertragung zu verhindern. Am Donnerstag lag die Zahl der täglich neu bestätigten Covid-19-Fälle pro Million Menschen auf den Seychellen bei über 4,000, verglichen mit 5,55 in Israel, laut dem World in Data Projekt.
In den chinesischen Staatsmedien hieß es, dass die Infragestellung der Wirksamkeit des Impfstoffs von Sinopharm durch ausländische Medien „willkürlich“ sei und dass der Anstieg der COVID-19-Fälle auf den Seychellen durch mehrere Faktoren beeinflusst würde, wie Mutationen und Antikörper in der Bevölkerung. Dennoch dürfte die Besorgnis in Peking steigen, da bislang in China nur chinesische Vakzine zugelassen sind und die Bevölkerung nur mit solchen geimpft ist. Außerdem ist laut Propaganda die Bekämpfung der Pandemie Chefsache von Staatsführer Xi Jinping persönlich.
Deswegen werden Stimmen unter Wissenschaftlern immer lauter, die besagen, dass der Sinopharm-Impfstoff keinen klaren Weg in Richtung Herdenimmunität biete, besonders wenn man die vielen Varianten betrachtet, die weltweit auftreten. Regierungen, die den Sinopharm-Impfstoff verwenden, „müssen von einer signifikanten Ausfallrate ausgehen und entsprechend planen“, kommentierte John Moore, ein Impfstoffexperte an der Cornell University. „Sie müssen die Öffentlichkeit warnen, dass es immer noch eine beträchtliche Chance gibt, sich zu infizieren.“ „Man muss wirklich hochwirksame Impfstoffe verwenden, (…) weil sie sonst langfristig mit der Krankheit leben müsste“, erklärte Raina MacIntyre, die das Biosicherheitsprogramm am Kirby Institute der University of New South Wales in Sydney, Australien, leitet. „Die Wahl des Impfstoffs ist wichtig.“
Hintergrund
Die Weltgesundheitsorganisation erteilte erst vor einer Woche eine Notfallzulassung für den Impfstoff von Sinopharm.
Hadrian Schattner lebte von 1998 bis 2012 in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong und heute in Berlin und Europa.
Sehr interessanter Artikel, vielen Dank!