Die Hauptlegitimation der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) wird immer wieder damit begründet, Millionen von Menschen aus der Armut geholfen zu haben. Das chinesische Staatsoberhaupt Xi Jinping verkündete am 25. Februar 2021 sogar den „vollständigen Sieg“ über die absolute Armut in China. Doch was ist wirklich dran an der Behauptung?
Vergleicht man die bettelarme Volksrepublik bei ihrer Staatsgründung 1949 mit dem modernen China von heute, so wird man ein deutlich wohlhabenderes Land vorfinden. In absoluten Zahlen hat China inzwischen das zweitgrößte Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Welt und nach Kaufkraftparität sogar die größte. Das Wirtschaftswachstum lässt sich sehen, so lagen die offiziellen Zahlen in den Jahren vor Corona stets über 6 Prozent.
Bestandsaufnahme
Makroökonomischen Fakten sagen erst Mal wenig über den Wohlstand des einzelnen Menschen aus. Es müsste jedem klar sein, dass das BIP von China, einem Land mit über 1.4 Milliarden Einwohnern größer ist, wie das von Monaco, einem Land mit gerade einmal 39,000 Monegassen.
Deswegen sind zwei andere Messgrößen besonders ausschlaggebend: Das BIP pro Kopf und der GINI-Koeffizient, der angibt wie die Vermögensverteilung im Land ist.


Wie man den Statistiken entnehmen kann, ist das BIP pro Kopf in China immer noch ziemlich niedrig, bei einer gleichzeitig relativ großen Vermögensungleichverteilung, d.h. einige wenige Menschen haben deutlich mehr, während die meisten anderen deutlich weniger haben. Weiterhin negativ ins Gewicht fallen dürfte, dass man die Zahlen zur Vermögensverteilung aufgrund der verschiedenen Quellen, Aktualität und schwierigen Überprüfbarkeit der Daten mit sehr viel Vorsicht genießen muss. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund eines starken Stadt-Land-Gefälles, starker Unterschiede zwischen Ost und West und wegen eines starken Ungleichgewichts zwischen der Mehrheit der Han-Chinesen und den ethnischen Minderheiten, die Kluft zwischen Arm und Reich in der Volksrepublik noch größer sein dürfte.
Weiterhin muss man wissen, dass China eine andere Grenze für die absolute Armut ansetzt wie die Weltbank. Die allgemein gebräuchliche Grenze liegt bei 1.90 US$ pro Tag für arme Länder, für Länder mit hohen Einkommen, zu denen die Volksrepublik inzwischen zählt, bei 5.50 US$. Dennoch legt China seinen eigenen Grenzwert bei 1.70 US$ am Tag fest (bis 2019 lag er sogar bei nur 1.00 US$). Der chinesische Premier Li Keqiang gab ungewöhnlicher Weise im Mai 2020 sogar zu, dass noch immer 600 Millionen Chinesen von 1000 RMB Monatseinkommen lebten, also mit 5.10 US$ pro Tag unterhalb des 5.50 US$ Armutsgrenze der Weltbank.
Fand der wirtschaftliche Aufstieg in China trotz oder wegen der Kommunistischen Partei Chinas statt?
Wenn die KPCh den chinesischen Bürgerkrieg nicht gewonnen hätte, wäre China wohl von der Kuomintang regiert worden, die sich nach Taiwan zurückziehen musste. Deswegen lohnt sich ein Vergleich der beiden Länder.
Nach der Machtergreifung im Agrarstaat China 1949 durch die KPCh, ordnete der neue Führer Mao Zedong an eine Bodenreform durchzuführen, Großgrundbesitzer zu enteignen und das sowjetische Model nachzuahmen. 1958 kam dann der „Große Sprung nach vorn“ als Antwort auf eine zunehmende Rivalität mit Russland. Im Rahmen dessen sollte China industrialisiert werden und die Landbevölkerung eine mit den Sowjets konkurrierende Schwerindustrie aufbauen. Dies hatte zur Folge, dass in den Jahren 1958-61 an Hungersnöten 15 bis 55 Millionen Menschen starben. 1966 wurde dann die Kulturrevolution ausgerufen. Die Jugend wurde in roten Garden organisiert und ermordete dann Lehrer, Intellektuelle und Entscheidungsträger. Viele Schulen und Universitäten blieben zum Teil Jahre lang geschlossen und bis zu 20 Millionen Menschen starben. Erst nach dem Tod Maos 1976 wurde damit begonnen langsam Reformen im Land durchzuführen und der Bevölkerung wirtschaftliches Handeln zu erlauben.
Auch Taiwan war damals ein Agrarstaat und wurde diktatorisch von Kuomintang-Führer Chiang Kai-sheck regiert. Im Gegenzug zur KPCh verbat er den Taiwanesen allerdings keine privaten Wirtschaftsaktivitäten und öffnete das Land der Welt gegenüber. Das taiwanesische Wirtschaftswunder fand statt und Taiwan wurde bald zu einem der vier asiatischen Tigerstaaten. Die KPCh reduziert diesen Erfolg Taiwans zwar auf das Abziehen der chinesischen Goldreserven durch die Kuomintang, allerdings dürfte diese bei der Entwicklung des Landes kaum eine Rolle gespielt haben, wie in der nachfolgenden Tabelle die stagnierende Entwicklung der Wirtschaft in den ersten Jahren belegt. Lediglich zu einem stabilen Taiwan Dollar trugen diese bei, wohingegen aus anderen Gründen der chinesische Yuan bis heute nicht an den Geldmärkten gehandelt wird.

Man kann also feststellen, dass in den ersten Jahrzehnten die KPCh die Wirtschaftsaktivitäten Chinas lahm legte. Dennoch folgte nach Maos Tod ein sensationeller, wirtschaftlicher Aufstieg. Nun stellt sich die Frage, ob andere Länder eine ähnliche Entwicklung durchgemacht haben oder ob es ein rein chinesisches Phänomen ist und die KPCh anders agiert hat wie andere. Von daher ist auch hier ein Vergleich mit Taiwan sinnvoll. Hinzu kann man auch noch als weiteres erfolgreiches asiatisches Land Südkorea nehmen. Südkorea war in den 50er Jahren auch ein Agrarstaat, bis 1953 tobte dort ein Krieg und das Land hat niemals chinesische Goldreserven bekommen.
Wenn man jetzt davon ausgeht, dass die Volksrepublik ca. 20 Jahre durch das Wüten des KPCh-Führer Maos verloren hat, dann kann man die Zahlen der Wirtschaftsentwicklung Chinas der letzten Jahrzehnte mit denen von Südkorea und Taiwan, abzüglich 20 Jahre gegenüberstellen.

Wie man an oberer Grafik sehen kann, fügt sich die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts Chinas 1980-2019 entlang den Entwicklungen von Taiwan und Südkorea 1960-1999. Somit ist in keiner Weise belegt, dass die positive Wirtschaftsentwicklung in China außergewöhnlich oder auf die KPCh zurückzuführen ist. Im Gegenteil, das Wirtschaftswachstum ist dem Umstand zu verdanken, dass die KPCh sich immer mehr aus der Wirtschaft zurückzog.
Rückschlüsse
- Es geht in der Tat Millionen von chinesischen Bürgern heutzutage deutlich besser als zu Beginn der Machtergreifung durch die Kommunistische Partei.
- Die absolute Armut ist in China noch nicht beseitigt, es wird lediglich mit anderen Zahlen agiert. Nach wie vor leben 600 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze.
- In der Ära Mao hat das Land mindestens 20 Jahre an Wirtschaftsentwicklung eingebüßt.
- Die Regierung von Taiwan hat ein ähnliches BIP pro Kopf Wachstum erzielt wie China, nur früher damit begonnen.
Die Aussage, die Kommunistische Partei Chinas hätte Millionen von Menschen aus der Armut geholfen ist von daher falsch. Die KPCh hat Chinas Wachstum behindert, nicht gefördert.
Hadrian Schattner lebte von 1998 bis 2012 in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong und heute in Berlin und Europa.