Das Gipfeltreffen zwischen dem russischen Präsidenten Vladimir Putin und dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden am Mittwoch in Genf war durch zuvor beunruhigendes russisches Verhalten gekennzeichnet. Biden schlug das Treffen vor, nachdem Moskau Tausende von Truppen entlang der ukrainischen Grenze zusammengezogen hatte. Die Aufstockung löste in Kiew und Washington Befürchtungen über einen unmittelbaren Angriff auf die Ukraine aus, deren Halbinsel Krim 2014 von Moskau besetzt wurde.
Mit einem zunehmenden Fokus auf China kommen weitere Eskalationen Russlands Washington höchst ungelegen. Auf der Pressekonferenz nach seinem Treffen mit Putin sagte Biden „Russland ist im Moment in einer sehr, sehr schwierigen Lage. Sie werden von China unter Druck gesetzt“. Als Reaktion auf Chinas wachsende Bedeutung versucht die Regierung Biden, die diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Kapazitäten neu auszurichten. Biden und seine Vertrauten verbrachten Zeit mit Funktionären in Asien und Europa, um eine demokratische Koalition als Gegenbündnis zum autoritären China zu schaffen. Ein Bericht der US-Geheimdienste vom April bezeichnete China als die nationale Bedrohung Nummer 1 für die USA. Biden umwarb letzte Woche Verbündete in der NATO und der Gruppe der sieben wohlhabenden Länder (G7), um bei internationalen Begegnungen zu helfen Druck auf China auszuüben.
Währenddessen hält Moskau Washington mit einer Liste von Problemen auf, die eine große Herausforderung für die außenpolitischen Ziele der Biden-Administration darstellen.“ Es ist ein harter Job“, sagte Andrew Weiss dem Wall Street Journal, Vizepräsident des Carnegie Institute for International Peace und ehemaliger Russland-Experte in der Clinton-Regierung. „Die Leute in der Biden-Administration sind klug genug, um zu wissen, dass Wladimir Putin nicht die Absicht hat, sich in eine Kiste zu verkriechen, damit die USA ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf China richten können.“
Als Biden im Januar sein Amt antrat, hatte Washington immer noch mit dem SolarWinds-Hack auf die US-Regierung und US-Unternehmen aus dem vergangenen Jahr zu kämpfen, der als größter Diebstahl von US-Daten in der Geschichte beschrieben wird. Die Biden-Administration gab dem russischen Auslandsgeheimdienst SVR die Schuld. Im Mai startete eine in Russland ansässige Hackergruppe einen Ransomware-Angriff auf das Netzwerk der Colonial Pipeline Company. Sie legte die Computersysteme des Unternehmens lahm und löste eine Welle von Treibstoffengpässen an der Ostküste der USA aus, was US-Beamte als den schwersten Angriff auf die US-Infrastruktur in der Geschichte bezeichneten. Auch führten im Ausland vergiftete Dissidenten und die Sabotage von Waffendepots zu Spannungen zwischen den Ländern.
James Lewis, Direktor des strategischen Technologieprogramms am Zentrum für Strategische und internationale Studien, stellte heraus der Gipfel sei ein Versuch gewisse Spielregeln festzulegen. Biden dämpfte die Erwartungen, dass Putin sein Verhalten nach dem Gipfel schnell ändern würde. Es werde sechs Monate bis ein Jahr dauern, um festzustellen, ob die beiden Seiten „einen strategischen Dialog führen, der von Bedeutung ist“. Im September finden in Russland Parlamentswahlen statt. Thomas Graham vom Council on Foreign Relations erklärte, es werde einige frühe Hinweise auf die Absichten des Kremls nach dem Gipfel geben, ob antiamerikanische Stimmung angeheizt oder Gefangene mit den USA vor diesen Wahlen ausgetauscht würden. Seiner Einschätzung nach will Russland gerne Gespräche mit den USA führen, um ein teures Wettrüsten zu vermeiden. Russland hat vor kurzem die Modernisierung seines Atomwaffenarsenals abgeschlossen, während die USA gerade erst beginnen ihre eigenen Waffen zu modernisieren. Russland müsste dann aufholen. Zusätzlich will Putin den Dialog auch für sich selbst, da er Moskau Großmachtstatus verleiht, der für seine Popularität im eigenen Land wichtig ist.
Hadrian Schattner lebte von 1998 bis 2012 in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong und heute in Berlin und Europa.