Während in der Schweiz eine Debatte über den Umgang von Firmen mit Zwangsarbeit in China entbrannt ist, stellte das „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR) gestern in Deutschland Strafanzeige gegen mehrere namhafte Textilmarken und Einzelhändler. Tatvorwurf: Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form der Versklavung durch Zwangsarbeit. Hugo Boss, Lidl und andere Unternehmen sollen direkt oder indirekt die Zwangsarbeit der uigurischen Minderheit in der „autonomen“ Region Xinjiang-Uigur (XUAR) im Westen Chinas unterstützt und davon profitiert haben und könnten daher an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt sein.
Die chinesische Regierung zwingt die Uiguren in Xinjiang zur Arbeit in der Textilindustrie in den Bereichen Baumwoll- und Garnversorgung sowie in der Konfektionsindustrie, wie eine wachsende Zahl von Berichten, z.B. von Amnesty International, zeigt. Völkerrechtsexperten haben die Behandlung der Uiguren in der Region als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Dennoch beziehen europäische Bekleidungsmarken und Einzelhändler laut den von ihnen veröffentlichten Lieferantenlisten ihre Waren von Unternehmen aus dieser Region oder haben sie bis vor kurzem dort eingekauft. Nach Ansicht des ECCHR tragen diese Unternehmen möglicherweise zu einem Geschäftsmodell bei, das auf Zwangsarbeit basiert, und machen sich mutmaßlich mitschuldig – ein Risiko, dessen sie sich hätten bewusst sein müssen. Europäische Unternehmen profitieren also möglicherweise von Menschenrechtsverletzungen. Mit den in Deutschland eingereichten Beschwerden fordert das ECCHR die nationalen Staatsanwaltschaften auf, die rechtliche Verantwortung von Managern europäischer Unternehmen bei internationalen Verbrechen zu untersuchen.
„Die Klage zeigt die mögliche systematische Beteiligung europäischer Unternehmen an mutmaßlich staatlich geförderter Zwangsarbeit in der XUAR“, sagt Miriam Saage-Maaß, Leiterin des ECCHR-Programms Wirtschaft und Menschenrechte. „Es ist nicht hinnehmbar, dass europäische Regierungen China für Menschenrechtsverletzungen kritisieren, während europäische Unternehmen möglicherweise von der Ausbeutung der uigurischen Bevölkerung profitieren. Es ist höchste Zeit, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sich der Verdacht auf Zwangsarbeit bestätigt.“
Dieser Fall verdeutlicht, dass Unternehmen bei Geschäften in repressiven Ländern die internationalen Strafrechtsstandards einhalten müssen. Unternehmen müssen vermeiden, potenziell Beihilfe zu völkerrechtlichen Verbrechen und anderen Menschenrechtsverletzungen zu leisten.
Hugo Boss sagt, dass das Unternehmen keine Zwangs- oder Pflichtarbeit oder Formen der modernen Sklaverei duldet und verpflichtet alle Partner entlang der Lieferkette, die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten und keine Verstöße zu dulden. Hugo Boss hatte die Berichte und Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen in der Region sehr ernst genommen und bereits vor vielen Monaten seine direkten Lieferanten aufgefordert, zu bestätigen, dass die Produktion von Waren in der Lieferkette in Übereinstimmung mit den Werten und Standards von Hugo Boss erfolgt und insbesondere die Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette eingehalten werden. Als Reaktion auf die Berichte über einen Lieferanten habe Hugo Boss auch eigene Audits in den Produktionsstätten durchgeführt, die keine Hinweise auf den Einsatz von Zwangsarbeitern ergeben hätten.
Lidl betont, dass das Unternehmen die Grundrechte aller Beteiligten in den verschiedenen Stufen der Lieferketten schützt. Die „Null-Toleranz“-Position gegenüber Zwangs- und Kinderarbeit ist Teil des schriftlich fixierten „Code of Conduct“, der die Vertragspartner von Lidl auf die Einhaltung und Umsetzung sozialer und ökologischer Standards verpflichtet. Sollten Lidl konkrete Hinweise auf Verstöße vorliegen, wird Lidl diesen nachgehen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. In diesem Zusammenhang ist es auch zu Schließungen von Produktionsstätten gekommen. Mit dem auf der Lieferantenliste vom März 2021 genannten Produzenten arbeitet Lidl seit mehr als einem Jahr nicht mehr zusammen. Das Gleiche gilt für den Hersteller, der auf den Lieferantenlisten vom Dezember 2019 und März 2020 aufgeführt ist. Der auf allen drei Lieferantenlisten genannte Hersteller arbeitet seit Ende Juni nicht mehr für Lidl, und Lidl beabsichtigt nicht, weitere Aufträge an das Unternehmen zu vergeben. Lidl prüfe kontinuierlich und systematisch potenzielle Risiken wie Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten seiner Eigenmarkenprodukte und ergreife bei Bedarf Abhilfemaßnahmen, sagte er. Alle Produktionsstätten der Lidl-Eigenmarken im Non-Food-Bereich würden regelmäßig von unabhängigen und lokalen Experten nach dem anerkannten BSCI- oder SA 8000-Standard auditiert.
Die Ermittlungen gegen China begannen im April 2021, als das ECCHR eine ähnliche Beschwerde von Sherpa in Frankreich unterstützte. Die französischen Behörden leiteten bereits Ermittlungen ein.
Hadrian Schattner lebte von 1998 bis 2012 in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong und heute in Berlin und Europa.