Als Xi Jinping am 14. März 2013 die Macht in China übernahm, sah die Welt aus nationalistischer, chinesischer Sicht noch gut aus. Chinas offizielles Wirtschaftswachstum lag bei fast 8 % und die Regierungen im Ausland glaubten an einen Wandel durch Handel.
Im Südchinesischen Meer konnte China immer noch tun, was es wollte und in Taiwan regierte die China-freundliche Kuomintang (KMT), während in Hongkong sich die Menschen darauf konzentrierten, Geld zu verdienen, anstatt zu demonstrieren. Geopolitisch wollte Australien sich damals nicht zwischen Amerika und China entscheiden, während Indien neutral war und eine mögliche wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China als BRICS-Staat sah. Europäische Staatsoberhäupter und Minister flogen noch mit ganzen Wirtschaftsdelegationen ins Reich der Mitte, und Kritik an der Menschenrechtslage in der Volksrepublik fand, wenn überhaupt, nur hinter verschlossenen Türen statt. Allgemein war das Bild Chinas in der Welt relativ positiv.
Heute ist die Situation eine ganz andere und in den Bereichen, die für Nationalisten wichtig sind, hat es nur Rückschläge gegeben.
„Wiedervereinigung“
Nicht einmal 3 % der Bevölkerung fühlen sich zur Volksrepublik zugehörig und weniger als 8 % befürworten eine Vereinigung mit China. In Taiwan ist die KMT fast zur Bedeutungslosigkeit verblasst, und es ist Taiwan gelungen, von den USA und den regionalen Mittelmächten Sicherheitszugeständnisse zu erhalten. Der demokratische Inselstaat verkündet, dass eine Vereinigung mit seinem großen Nachbarn keine Option ist, und rüstet sich für einen asymmetrischen Verteidigungskrieg.
Maritime Ansprüche
Das Südchinesische Meer wird von Flugzeugträgern westlicher Mächte auch auf Einladung der Anrainerstaaten durchquert, und die Ansprüche Chinas wurden vor einem UN-Tribunal niedergeschlagen. Selbst das kommunistische Vietnam ist dazu übergegangen, Inseln zu militarisieren und mit den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten.
Grenzen
An der chinesisch-indischen Grenze macht China keine Fortschritte und sieht sich nach einem Scharmützel mit zehntausenden indischen Soldaten konfrontiert.
Hongkong
In Hongkong gab es große Protestbewegungen, die zeigten, dass die Stadt die Gewaltherrschaft der KPCh ablehnt und Zehntausende verlassen jeden Monat die Stadt. Überall auf der Welt formieren sich Gruppen von Hongkongern, die sich nicht mundtot machen lassen.
Internationaler Ruf
Die EU und die Vereinigten Staaten haben zum ersten Mal seit 1989 Sanktionen gegen chinesische Beamte verhängt, und aus immer mehr neuen Ländern ertönt laute Kritik an China. Nicht einmal kleine Länder wie Litauen kann Xi zurückhalten. Verstärkt durch die Corona-Krise erreicht eine ablehnende Haltung gegenüber China in vielen Ländern einen historischen Höchststand. Selbst Boykotte der NFL führen nicht mehr zu mehr Selbstzensur, sondern zu mehr Kritik.
Wirtschaft?
Nach einem desaströsen Coronaeinbruch ist Chinas Wirtschaft erneut am Wackeln, da chinesische Unternehmen zwischen Sanktionen und einem heimischen Regulierungswahn navigieren müssen. Ganze Industriebereiche sind über Nacht verschwunden und der für das Land so wichtige Immobiliensektor am Zerbrechen. Bekannte Wall-Street-Spekulanten wie George Soros warnen vor Chinas Untergang.
Entgegen der chinesischen Staatspropaganda waren nicht die schwarzen Hände böser ausländischer Mächte der Auslöser für die Proteste in Hongkong, sondern Xi Jinpings Versäumnis, Versprechen einzuhalten, und seine Ignoranz gegenüber dem Wunsch der Menschen nach Freiheit. Erst die Bilder brutaler Polizeieinsätze, die täglich über die Bildschirme flimmerten, haben die Taiwaner abgeschreckt und die Hoffnungen auf die Hongkong-„Ein-Land-zwei-Systeme-Lösung“ zunichte gemacht. Das ist der Grund für den Politikwechsel, nicht das „separatistische Denken einiger Politiker“.
Die Darstellung des chinesischen Außenministeriums, das Coronavirus stamme aus den USA, war der Grund dafür, dass sich der egomanische Donald Trump zu Anschuldigungen hinreißen ließ, und nicht andersherum. Das Nicht-Verstehen des demokratischen Mehrheitswillens der taiwanesischen Bevölkerung und die damit verbundenen immer heftigeren Drohungen Chinas gegenüber Taiwan, führten zu einem klaren Bekenntnis Bidens zur Verteidigung Taiwans, nicht ein allgemein vertretener China-Hass in Washington. Das zunehmend aggressive Auftreten Chinas an seinen Grenzen und in umstrittenen Gewässern, führt zu Konflikten und verstärkter Präsenz westlicher Mächten in der Region, wie auch neuen Bündnissen, nicht ein neuer von Xi vorgetäuschter „Multilateralismus“.
Auch mit der Wirtschaft ist es ähnlich bestellt. Es werden zunehmend Sanktionen gegen chinesische Firmen verhängt, weil Xi private Firmen als Teil des chinesischen Machtapparats sieht und diese somit zum Sicherheitsrisiko für Staaten werden. Schwerste Menschenrechtsverbrechen und Digitaldiktatur tragen zu einer größeren Sanktionsliste bei, anstatt sie zu verringern.
Die Politisierung von Covid-19 und die Sanktionen als Reaktion auf Australiens Forderung nach Klärung der Corona-Ursachen sind der Grund dafür, dass es in China heute nicht genug Kohle gibt und die Fabriken stillstehen. Anstatt Verantwortung zu übernehmen und auf die Vermeidung einer künftigen, neuen Pandemie hinzuarbeiten, wollte der Präsident sein Gesicht wahren. Das Ergebnis ist, dass China den Kürzeren zieht und Australien viel weniger abhängig von der Volksrepublik ist. Neue Märkte haben sich für Exporte geöffnet.
Die Trotzreaktion Xis auf europäische Sanktionen gegen auserlesene chinesische Akteure im Unterdrückungsapparat in Xinjiang, nicht mit einer Verbesserung der Lage und Transparenz zu reagieren, sondern mit Gegensanktionen, führte zum Stopp des gerade abgeschlossenen Handelsabkommens mit der EU.
Die Immobilienkrise ist durch neue Regularien des chinesischen Machtapparats entstanden, und die daraus resultierenden Folgen sind für die meisten Analysten schwer abzuschätzen. Klar scheint jedoch zu sein, dass die Bauindustrie plötzlich nicht mehr Chinas Modell für die Zukunft sein wird. Ebenso wenig wie die Nachhilfebranche, der E-Gaming-Sektor und viele andere. Und wer in China ein Internet-Start-up gründen will, muss sich jetzt auch überlegen, ob das Risiko nicht zu groß ist.
Wenn man also ein chinesischer Nationalist ist, wird man weiterhin in der Öffentlichkeit mit Chinas Fähigkeiten und Fortschritten prahlen und sich über die unfaire internationale Staatengemeinschaft beschweren, aber es wird immer schwieriger, nicht auch dem Präsidenten die Schuld für die Misserfolge zu geben. Das Einzige, was zwischen Xi und der ewigen Macht bis zu seinem Tod heute steht, ist das siebenköpfige Politbüro. Ob dieses mächtiger ist als Xi Jinping, wird sich nächstes Jahr zeigen, wenn es Xis Amtszeit verlängern soll.
Hadrian Schattner lebte von 1998 bis 2012 in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong und heute in Berlin und Europa.